Ein stetes Raunen liegt über den Campi, San Marco eingeschlossen, es zieht durch die Gassen, über die Brücken der Kanäle. Die Massen flanieren, aber es wird nie laut: Karneval in Venedig ist eine nach außen farbenfrohe Pracht – aber zugleich wie verinnerlicht. Karneval in Venedig ist eine grandiose Schau in gesammelter Stille. Die Venezianer und mit ihnen tausende von Touristen flanieren maskiert und kostümiert in Trachten und Roben des 17. Jahrhunderts durch die Stadt, vorzugsweise in Garderoben der Comedia dell’Arte, sie tragen kostbare Halb- oder Ganzmasken. Sie flanieren, um zu sehen und gesehen zu werden. In Anonymität. Sinnbild dafür ist das traditionellste alle traditionellen venezianischen Karnevalskostüme, genannt Bauta. Es besteht aus einem weiten schwarzen Mantel, einem Dreispitz und einer weißen Vollmaske, deren hervorstechendstes Merkmal im wahrsten Sinne des Wortes das vorragende Kinn ist.

Der Ursprung des Festes ist römisch

Der Karneval ist im Kern so alt wie die Stadt selbst. Sein Ursprung liegt, wie alle karnevalistischen Feste in Italien, in den römischen Saturnalien., den großen Maskeraden, die zur Jahreswende gefeiert wurden. Im frühen 18. Jahrhundert begann dann der Karneval schon im Oktober und zog sich über ein ganzes halbes Jahr hin. Die Venezianer wurden übermütig. Mit dem Ergebnis, dass mit der österreichischen Eroberung im 19. Jahrhundert dies Fest der Freude allmählich in Vergessenheit geriet: Die Zeiten war nicht mehr danach.

Foto: Giorgio Minguzzi, flickr.com, CC BY-SA 2.0
Foto: Giorgio Minguzzi, flickr.com, CC BY-SA 2.0

Künstler belebten das Fest in den 80er Jahren

Erst rund 200 Jahre später, in den 1980er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, wurde das Fest, vor allem von Künstlern, den Leuten vom Theater, wieder belebt. Das festliche Treiben heute ist also eigentlich jung – und im Kern doch so alt. Was sich zu Karneval über 14 Tage in der Lagunenstadt abspielt, wird „eine Sinnen betörende Orgie der Fantasie“ genannt. So sagt es zu Recht Thorsten Droste in dem Standardwerk „Venedig“. Orgie der Fantasie: Die Venezianer legen auch heute noch großen Wert darauf, ihre farbenfrohen Kostüme selbst zu nähen oder zu basteln. Ob es nun der Arlecchino, Pulcinella, Pantalone oder andere Gestalten der klassischen Comedia dell’Arte sind oder prachtvoll gekleideten Herrschaften aus der Zeit des Rokkoko, ob Schlümpfe oder Gespenster aus dem Weltall – es sollte selbst gefertigt sein.

Eine Oase der Stille ist das alte Ghetto

So ziemlich die ganze Stadt ist in dieser ganzen Zeit friedlich erobert und sanft besetzt von den Menschen in karnevalistischen Maskeraden. Es ist für Außenstehende vielleicht ein ungewöhnliches Bild, auf der Friedhofsinsel zwischen den vielen Gräberreihen Maskierte zu sehen, die den Ahnen Blumen bringen. Aber in Venedig waren und sind Leben und Tod nah beieinander. Wer in dieser Zeit in Venedig dem Karneval entkommen will, hat es schwer. Ihm bleibt als Oase die Stille des alten Ghettos. Insgesamt ist Karneval in Venedig ein zwischen Kunst und Kitsch pendelndes Spektakel. Krönender Abschluss ist ein Feuerwerk vor San Marco, vor dem morbiden Bühnenbild der Lagunenstadt. Und dazu knuspern die Venezianer dann, soweit es die Maske erlaubt, das traditionelle Karnevalsgebäck, nämlich Frittelle. Das ist Schmalzgebackenes.

Titelbild: Foto: Stefan Insam, flickr.com, CC BY-SA 2.0