Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Ostsee ist ein Sommer-Urlaubsparadies: Badeorte mit ausgezeichneter Infrastruktur, lange Sandstrände mit den berühmten Strandkörben und touristische Angebote für fast jeden Geldbeutel. Aber nicht nur in der warmen Jahreszeit lohnt sich ein Ausflug an das heimische Meer. Auch außerhalb der Saison hat die See so einiges zu bieten.

Der Badeort Binz auf Rügen zum Beispiel besticht zu jeder Jahreszeit mit seinem kulturellen Angebot wie auch der beeindruckenden Natur, die sich um die kleine Stadt schlängelt. Im Frühling und Sommer ist es der grüne Buchenwald, der dicht und voller Kraft an der Küste entlang wächst und zu geheimnisvollen Spaziergängen einlädt. Im Herbst tauschen die Bäume ihr Grün durch schillernde Rot- und Goldtöne und leuchten kontrastreich zu den weißen Häusern der Altstadt, die am Waldrand beginnt. Und der Wald ist nur ein Detail des Badeorts, der zum Staunen einlädt.

Janine Heidenfelder
Janine Heidenfelder

Wer zum ersten Mal durch Binz läuft, fühlt sich ein wenig wie in einer surrealen Welt. Der gesamte Stadtkern besteht aus strahlend weißen Häusern, die aussehen wie aus einem Märchenbuch entsprungen. Bäderarchitektur nennt sich der Baustil, den jedes einzelne Haus auf seine Weise wiederspiegelt. Typisch für diese Bauweise sind Fassaden, die mit zahlreichen Holz-Balkonen, Giebeln und Türmchen verziert sind. Die filigranen Schmuckstücke verschönern jedes Haus und immer, wenn man meint, das schönste gefunden zu haben, taucht ein noch fulminanteres auf. In Binz herrscht auch die Vorschrift, dass kein Haus im Stadtkern errichtet werden darf, dass sich nicht an den typischen Bäderstil anpasst. Natürlich gibt es heute ein paar Abweichungen – einige wenige Häuser haben Balkone aus Stahl, statt Holz. Aber die typischen Holzfassaden sind noch immer die schönste Augenweide der Stadt. Empfehlenswert ist an dieser Stelle auch die Stadtführung durch den Ortskern, die den Touristen bei Vorzeigen der geleisteten Kurtaxe kostenfrei zwei Mal pro Woche angeboten wird und einen spannenden Einblick in die Geschichte von Binz und auch der Bäderarchitektur gibt. Übrigens ist es kaum zu glauben, dass nahezu alle Häuser der Bäderarchitektur für Urlauber vorbehalten sind. Die Einwohner des größten Seebades auf der Insel Rügen leben außerhalb dieser kleinen Welt – und haben damit auch einen deutlich längeren Weg zum Strand.

Läuft man die kilometerlange Strandpromenade mit ihren prächtigen Villen entlang, weht stets ein kleines Lüftchen um die Nase und trägt den salzigen Geruch der See heran. Ob im Frühjahr, Sommer oder Herbst – ein Spaziergang am feinen Binzer Sandstrand, der mit seinem hellen, weichen Sand problemlos mit südlichen Stränden konkurrieren kann, ist immer auch eine Wanderung, bei der man seine Gedanken schweifen lässt. Das Rauschen des Wassers singt mit dem Wind ein ganz eigenes Lied und gibt den Besuchern die Chance, mit einem Blick über das Meer der Sehnsucht nach Weite, Freiheit und innerer Ruhe ein Stück näher zu kommen. Verglichen mit der scheinbaren Endlosigkeit der See, die bis zum Horizont und darüber hinaus reicht, wirken Probleme plötzlich viel kleiner und lösbarer, als noch zuvor im Getümmel der Großstadt. Und bis in den Herbst kann man sich im Strandkorb verkriechen und so inmitten von Menschen eine ganz eigene kleine Welt für sich schaffen.

Janine Heidenfelder
Janine Heidenfelder

Kaum zwei Kilometer von Binz entfernt, wartet ein weiteres architektonisches Highlight auf den Besucher: der Koloss von Prora. Ursprünglich acht baugleiche Häuser wurden ab 1936 auf 4,5 Kilometern Länge aneinandergereiht und sollten der Organisation Kraft durch Freude als Ferienort für 20.000 Menschen zur selben Zeit dienen. Ab 1950 wurde das Gelände zu einer stalinistischen Großkaserne umfunktioniert. Heute sind die Bauarbeiter wieder vor Ort, Teile werden abgerissen, die asbestverseuchten Gebäude kernsaniert und als Luxuswohnungen in direkter Strandlage verkauft. Es ist beeindruckend, die gesamte Strecke des scheinbar nicht enden wollenden Gebäudes abzufahren, und im Wald gelegen mit seinem unverbauten Meerblick ist es sicher ein nicht zu verachtender Luxus – zumal dort eine richtige Kleinstadt mit Spa und Einkaufsmöglichkeiten in diesem Gebäude entstehen soll. Doch gleichzeitig kommt auch ein beklemmendes Gefühl auf, wenn man an diesem Stück Geschichte entlanggeht und den Kontrast von alt und neu sieht, der einem an mancher Stelle, an der ein Teil noch geschichtsträchtiger Altbau, der daran klebende aber bereits glänzender Neubau ist, vorgeführt wird. Faszinierend und bedrückend zugleich ist dieses unfassbar riesige Bauwerk. Und daher auf jeden Fall einen Ausflug Wert – zu jeder Jahreszeit.

Romantisch schön sieht Binz auch bei verschneitem Winterwetter aus.Die Altstadt schmückt sich mit dem Licht- und Weihnachtsmarkt und die dunkle Jahreszeit wird durch unzählige Lichter erhellt, auf dem Platz vor der Seebrücke glänzt ein Weihnachtsbaum und mannshohe weiße Weihnachtsengel begrüßen die Besucher. Wenn sich am Strand der Schnee türmt und mit den weißen Häusern um die Wette strahlt, unternimmt man einen kleinen Spaziergang auf der Seebrücke und schaut auf das glitzernde Meer und die weiße, leuchtende Stadt.