Vor allem im Tessin, aber auch in anderen Schweizer Kantonen gibt es eine Reihe altehrwürdiger Hotelpaläste, zum Teil mit reicher Geschichte, die leer stehen, dem Verfall preisgegeben sind oder – wenn es gut geht, zu Luxuswohnanlagen für Wohlhabende umgebaut werden. Häufig sehr zum Ärger und Leidwesen von Städten, Gemeinden und dem Denkmalschutz. Dazu gehört beispielsweise das Grand Hotel in Locarno am schweizerischen Nordende des Lago Maggiore. Ein bisschen war es vor wenigen Jahren wieder in den Fokus gerückt während der Filmfestspiele von Locarno; aber nur als Kulisse, nicht als pulsierender Mittelpunkt. Das alles war früher anders.

Foto: Romano1246, wikimedia, CC BY-SA 3.0
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Mit der Eisenbahn kam der Aufschwung

Das Grand Hotel in Locarno – es hat eine reiche Geschichte, nicht zuletzt auch deshalb, weil hier Geschichte geschrieben wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die heute rund 15.000 Einwohner zählende Stadt aus einer Art Dornröschenschlaf erwachte – die neue Eisenbahnlinie in Richtung Mailand gab die Initialzündung – gab es erste Pläne zum Bau eines repräsentativen Hotels. Das war um 1860. Aber erst zehn Jahre später wurde mit dem Bau begonnen. Am 20. Dezember 1874 konnte hier zur Eröffnung der Eisenbahnlinie Bellinzona – Locarno das prunkvolle Bankett im allerdings noch nicht ganz fertig gestellten Festsaal arrangiert werden. Erst im folgenden Jahr wurde das neue Grand Hotel offiziell eingeweiht. Der mächtige, großzügig konzipierte Bau wurde im Tessin zum Wegbereiter dieses Baustils.

Belle Epoque: Ein beeindruckender Treppenaufgang

Natürlich ist das gesamte Bauwerk gehalten im Stil des 19. Jahrhunderts – und auch so weitgehend erhalten. Außerordentlich sehenswert ist im Inneren die großzügige, doppelt geführte Treppenanlage über drei Stockwerke hinweg – mit einem imposanten venezianischen Leuchter im Innenhof. Zusammen mit den von Säulen getragenen, gewölbten Decken ist es einer der majestätischsten Treppenaufgänge, die in der so genannten Belle Epoque im Schweizer Hotelbau realisiert worden ist.

1925: Die Verträge von Locarno wurden hier ausgehandelt

Die Mauern des Grand Hotel Locarno atmen Geschichte. Denn hier wurde im Jahr 1925, sieben Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, eigentlich erst so richtig Frieden geschlossen. Hier wurden zwischen dem 5. und 15. Oktober 1925 insgesamt sieben völkerrechtliche Vereinbarungen verhandelt (und dann am 1. Dezember 1925 in London unterzeichnet), mit denen der territoriale Status quo vor allem an den Westgrenzen Deutschlands gesichert wurde; wofür Großbritannien und England die Garantie übernahmen. Dies bedeutete das Ende der „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich und ermöglichte Deutschland im Jahr darauf die Aufnahme in den Völkerbund. Die führenden Verhandlungsführer in Locarno waren Deutschlands Außenminister Gustav Stresemann, Austen Chamberlain (Großbritannien) und Aristide Briand (Frankreich). Stresemann und Briand hatten die Verhandlungsrunde im Grand Hotel eingefädelt mit geheimen Besprechungen im benachbarten Hotel Brissago. Die reiche Ausmalung der Festsäle im Erdgeschoss des eigentlichen Verhandlungs-Hotels geht auf diese Zeit zurück.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam das Grand Hotel zwischenzeitlich zu neuer Blüte. Das erste Filmfestival von Locarno fand im Jahr 1947 in der Gartenanlage des Hotels statt. Danach wartete es auf neuen Glanz.

Teaserfoto: Romano1246, wikimedia, CC BY-SA 3.0