Wenn bei Römers oben am Weinberg der Hauch von Woorschtsupp um Haus und Hof zog, die Schweineschwarte zum Weckewerk präpariert, die Würste gestopft und dem Kläuschen heimlich das Schweinschwänzchen hinten an die Hose geheftet wurde, dann war deftig-kulinarisches Fest. Nordhessisches Schlachtefest, in diesem Fall im Kaufunger Wald. Heutzutage ist Hausschlachtung auch zwischen Habichtswald und Meißner sehr selten geworden, doch die deftig-kulinarischen Genüsse sind weithin erhalten geblieben. Auch wenn mancher Südhesse von „kulinarischem Ödland“ sprechen mag, denkt er an Hessen-Kassel.
Klöße in Schmandsoße
Das Gegenteil kann praktiziert werden, anhand einzelner Orte, anhand einzelner Gerichte. Wenn man weiß, dass die nordhessische Küche im Kern schlicht ist, wird niemand eine Enttäuschung erleben. Hier, von der Schwalm bis zum Lossetal werden Grundprodukte geschätzt; Kartoffeln, Schmand (fette sauere Sahne für kalte Saucen und für Kuchen), Salate in vielfältiger Variation (natürlich aus dem eigenen Garten) – und Würste. Kolossale Würste. Auf die bodenständige Küche haben sich nicht wenige Restaurants wieder besonnen. In Ziegenhain beispielsweise werden deftige, mit Wurst gefüllte Schwälmer Klöße in Schmandsauce serviert, oder Wecksuppe, also eine kräftige Fleischbrühe mit gerösteten Brötchen, brauner Butter und Zimt. Im benachbarten Neukirchen ist die Schlachteplatte ein besonderer Hit und zugleich eine besondere Herausforderung an Durchstehvermögen. Sie besteht aus einem Ensemble mit Weckewerk (Fleischteig mit Brötchen und Schweineschwarten), Kartoffel- und Bratwurst, Blutwurstkuchen und Wellfleisch mit selbst gemachten Kartoffelbrei und Sauerkraut.

Innere Verbindungen zu Thüringen
Nordhessen, das ist eine Landschaft mit üppigen Wäldern und schmucken Fachwerkhäusern. Nicht umsonst – und dank der Brüder Grimm – wird dieser Landstrich durchzogen von der deutschen Märchenstrasse. Viele der kulinarisch-deftigen Speisen reichen auch ins Thüringische hinein. Schließlich ist es ein Katzensprung von Kaufunger zum Thüringer Wald. Mit vielfachen inneren Wechselbeziehungen. Von Nordhessen also auf dem Weg nach Thüringen sollte man bei Friedewald Rast machen. Um die elegante Spielart nordhessischer Küche kennenzulernen. Beispielsweise eine leichte Grüne Sauce zu Zucchini-Puffern (!) als Amuse-gueule und Kalbsrücken mit Basilikumsauce.
Weckewerk auch als weicher Brei
Die Nordhessen sind im Kern ein recht schweigsames Völkchen. Allerdings: Über Wurst reden sie gern; weil sie davon auch etwas verstehen. Sie räuchern Blut- und Leberwurst, Kartoffel- und Schwartewurst. Diese Köstlichkeiten werden zumeist gebraten oder in Gemüse gekocht. Doch die Krönung jeder Wurstplatte ist die so genannte „ahle Woorscht“. Sie wird deshalb so bezeichnet, weil es eine alte, eine haltbare Wurst ist; hergestellt aus Mett und geräuchert. In seltenen Fällen auch luftgetrocknet. Und wenn sie anschnittreif ist, dann wird sie zu Testzwecken blind verkostet – wie anderenorts der Beaujolais Primeur. Das ominöse Weckewerk schließlich, aus Brötchen und Schwarten hergestellt, ist nachgerade Nationalgericht in Nordhessen. Im Kaufunger Wald wird es knusprig gebraten, in der Schwalm jedoch als weicher Brei zu Kartoffeln und sauren Gurken gegessen. Im Vertrauen gesagt: es ist nicht nach jedermanns Geschmack.
Teaserfoto: Sandy Kirchlechner, flickr.com, CC BY-SA 2.0