Ich verrate Ihnen jetzt mal was: wenn Sie richtig schlimmen, herzzerreißenden Liebeskummer haben, dann haben Sie nur zwei Möglichkeiten. Entweder, Sie versinken in tiefem Selbstmitleid, heulen tagelang Ihrer verlorenen Liebe hinterher und reden sich glaubhaft ein, nie wieder lieben zu können geschweige denn jemanden auf dieser Welt zu finden, der Sie jemals lieben wird. Oder Sie packen einen Vorrat an Taschentüchern sowie all Ihre Lieblingskleidung ein und fliegen nach Paris.
Oui, in die Stadt der Liebe
Ich habe das gemacht. Eine ganze Woche lang war ich dort. Tout seule. Zwei Wochen nach der Trennung nach drei Jahren Beziehung. Zugegeben, in meinem Fall lag sie praktischerweise im Frühling, aber ich bin sicher, es wäre auch im Herbst oder Winter exakt das Richtige für Sie und auch egal, ob Sie eine Romantikerin, ein Mann oder ein Frankreichliebhaber sind! Denn welche Stadt wäre besser geeignet, um sich abzulenken, sein zerbrochenes Herz und sein Gefühlschaos zu sortieren, ohne dabei den Glauben an die Existenz der Liebe zu bewahren, als Paris?

Foto: Dennis Jarvis, flickr.com, CC BY-SA 2.0
Naturellement! Aber beachten Sie folgende 10 Regeln, denn ansonsten fühlen Sie sich einsam und kehren als Häufchen Elend statt als gestärkter Single zurück:
1. Buchen Sie ein günstiges, aber keinesfalls hässliches Hotelzimmer. Fragen Sie unbedingt nach einem schönen Ausblick. Der ist wichtig, denn Sie werden vermutlich viel Zeit in diesem Zimmer verbringen und wenn Sie dort auf eine Betonwand blicken wäre das mehr als kontraproduktiv. Auch eine Badewanne wäre toll, falls es in Ihr Reisebudget passt.
2. Telefon aus, seien Sie nicht erreichbar! Surfen Sie nicht unnötig bei Facebook oder im Internet, melden Sie sich bei Ihren Freunden ab und schauen Sie auch möglichst wenig Fernsehen. Konzentrieren Sie sich nur auf Ihre eigenen Gedanken. Ja, auf Ihre eigene, traurige Stimme, die permanent in Tränen ausbrechen will. Tun Sie es. Heulen Sie mit Stil. Sie sind in Paris! An welchem Ort der Welt ließe es sich sentimentaler und stilvoller weinen, als hier? Hören Sie nicht die hupenden Taxis, die brummenden Busse, die Flugzeuge und die plappernden Menschen? Paris ist immer voller Leben, egal, zu welcher Uhrzeit!

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3. Nehmen Sie sich kein unnötiges Sight-Seeing-Programm vor. Eiffelturm, Notre-Dame, Montmartre, Louvre…das läuft alles nicht weg. Stressen Sie sich nicht. Lassen Sie sich treiben und gehen Sie (allerdings immer mit einem Stadtplan in der Tasche) rechts-links-links-rechts-rechts durch Nebenstraßen. Erkunden Sie Viertel, die nicht von Touristen überströmt werden, doch gehen Sie bitte genau dorthin, falls Sie die Einsamkeit übermannt. Einsam in Paris, wo könnte es schöner sein?
4. Gehen Sie in einen französischen Film, in ein Konzert oder ins Theater. Irgendwas. Auch, wenn Sie gar kein Französisch sprechen oder verstehen können. Genießen Sie den Klang der sinnlichen Sprache. Beobachten Sie Paare, die diesen kulturellen Abend gemeinsam genießen und freuen Sie sich innerlich, dass Sie in der Zukunft auch wieder das Gefühl des Frischverliebtsein spüren werden. Vorfreude ist die schönste Freude! Und hey, Sie sind allein hier, aber Sie sind in Paris! Sourirez, lächeln Sie gefälligst!
5. Sie bleiben länger als ein Wochenende, also sind Sie mindestens einen Tag mitten im Pariser Alltag hier, was bedeutet: beobachten Sie die Franzosen, die zur Arbeit hetzen, in der Mittagspause belegte Baguettes kaufen oder abends müde in die Metro stolpern. Setzen Sie sich in Ruhe auf eine Parkbank, die inmitten kleiner Grünflächen, künstlicher Parks oder auch in den großen Gardins de Tuilerien oder unter dem Eiffelturm verstreut stehen. Ja, vermutlich gibt es genau so viele Parkbänke wie küssende Paare in der Stadt. Na und? Die Liierten streiten, sie machen sich abhängig, sie zanken über die Wahl des Restaurants oder wegen der Einkaufsliste. Genießen Sie Ihre Unabhängigkeit! Gehen Sie in ein teures Restaurant und freuen Sie sich, dass Sie die Rechnung weder teilen noch für jemanden übernehmen müssen. Sie können Escargots mit Knoblauch essen, weil Sie nicht mehr knutschen wollen, Sie können Ricard oder Pernod ohne unnötige Kommentare trinken, Sie können danach mit dem Kellner flirten und auf dem Nachhauseweg in Ihr süßes Hotel in einem Supermarché französische Schokolade oder Madelaines oder einen der unzähligen Joghurtvarianten kaufen. Sie können im Hotelzimmer französische Talkshows gucken oder baden oder einfach das tun, was Sie die ganze Zeit immer mal wieder machen: weinen Sie. Lassen Sie Ihren Kummer raus, schließlich sind Sie offenkundig der einzige Mensch in dieser riesigen, verschnörkelten, köstlichen Metropole, deren Herz gebrochen ist. Und wenn Sie sich da nicht mehr sicher sind, gehen Sie in die Metro, zählen die Clochards, die auf den Wärme spendenden Lüftungsgittern liegen, schenken diesen vergessenen Parisern Euros und Ihr schönstes Lächeln und gehen zurück in Ihr hübsches Hotel.
6. Schlafen Sie aus. Stehen Sie früh auf. Ja, verdrücken Sie morgens noch ein paar Tränen, ehe Sie sich anziehen, das ist okay. Hauptsache, Sie wissen noch, wegen wem Sie weinen und kontaktieren Sie ihn oder sie auf keinen Fall. (Geht ja auch nicht, denn Ihr Telefon ist ohnehin aus.) Dann ziehen Sie sich bequeme Schuhe an und laufen Sie Ihren Gedanken nach und folgen dem Duft frischgebackener Croissants. Ich habe nach der Trennung schlagartig nicht nur einen launischen Partner verloren, sondern auch meinen Appetit. Aber in Paris ging ich jeden Morgen (und ich meine, jeden dieser zehn Vormittage, die ich im wunderbaren Paris war) in die Boucherie gegenüber und habe mir ein Pain au Chocolat gekauft. Entgegen der französischen und weit eleganteren Art des Genießens habe ich das Schokoladencroissant im Gehen gegessen. Französinnen essen niemals nebenbei, weswegen sie schlanker als wir Deutschen sind. Aber ich wette, Pariserinnen würden auch niemals in der Öffentlichkeit heulen.

Foto: Henry Marion, flickr.com, CC BY-SA 2.0
7. Carpe diem. Sie sind schließlich in Paris, um Ihren Liebeskummer zu heilen, also arbeiten Sie daran. Sie wollen als zufriedener, frischgebackener Single in Ihre Heimatstadt zurückkehren, also arbeiten Sie an sich, auch, wenn es schwerer ist, als die Stufen zur wunderschönen Kirche Montmartre hochzulaufen. Kaufen Sie sich in einer Papeterie hübsches, teures Briefpapier von Clairefontaine, für das passende Karma noch einen niegelnagelneuen Füller und dann setzen Sie sich an einen hübschen Platz. Das kann ein Café sein oder auch Ihr Hotelzimmer, was ja hoffentlich einen schönen Ausblick hat, der Paris würdig ist. Schreiben Sie Ihre ehrlichen Gedanken auf. Und vor allem trauen Sie sich folgendes: Schreiben Sie ihm oder ihr einen Abschiedsbrief. Ich vermute, dass Sie verlassen wurden, aber auch, wenn Sie die Trennung initiiert haben, dann haben Sie etwas loszulassen und ein Chapître zu schließen. Schreiben Sie auf, was alles merveilleux in Ihrer Beziehung war und auch die Moments très triste. Seien Sie ehrlich. In erster Linie schreiben Sie diese Zeilen für sich. Und dann legen Sie die Gedanken einen Tag bei Seite.
8. Machen Sie Fotos. Von sich selbst. Kaufen Sie sich einen tollen Blazer oder ein Etuikleid oder eine Tasche. Mit Sicherheit haben Sie in den vergangenen Tagen mindestens zwei Liebeskummerpfunde verloren und das Kleidungsstück wird Ihnen in ein paar Monaten nicht mehr passen, aber hey, es wird Sie immer daran erinnern, wie melancholisch-glücklich Sie damals in Paris waren. Natürlich müssen Sie ein französisches Kleidungsstück kaufen. Teuer, günstig, egal, Hauptsache, es ist très chic. Knipsen Sie sich selbst unterm Eiffelturm, halten Sie Ihre Tränen auf Fotos fest oder Ihr Pain au Chocolat lächelnd in die Kamera. Leben Sie. Sie sind verlassen worden, aber Sie sind einfach allein nach Paris geflogen! Wie stolz Sie auf sich selbst sein können. Und wie schön Paris ist.
9. Das Wetter darf Sie nicht betrüben. Regen in Paris ist Regen in Paris. Wenn es zu heiß ist schwitzen Sie gerade in Paris. Falls es kalt ist dann frieren Sie in der Stadt der Liebe. Très bien! Führen Sie sich vor Augen, dass die französische Hauptstadt eine faszinierende, magische Wirkung hat. Paris ist dreckig. Laut. Überfüllt. Die Metro stresst permanent, alle schubsen sich, die Getränke sind überteuert und viele Menschen so grimmig wie Sarkozy und nur jede zweite Pariserin so hübsch und elegant wie Madame Sarkozy. Aber das hat Sie nicht zu stören. Sie gucken hoch, zu den Erkern, Eisengittern, Schornsteinen, den jahrhundertealten Villen, den uralten Bäumen im Park, den französischen Spatzen, runter zu den schiefen Steinen unter Ihren Füßen. Sie nehmen alles wahr, auch das hässliche. Und eines lege ich Ihnen an Ihr (Gratuliere!) langsam zusammen wachsendes Herz: suchen Sie die Nähe zum Wasser. Die Seine, den Canal St.- Martin, egal. Wasser beruhigt, lässt Ihre wirren, betrübten, einsamen Gedanken in die richtige Richtung fließen, welche Richtung auch immer das sein mag. Nein, Sie werden sich so schnell naturellement nicht verlieben. Höchstens in diese entzückende Schuhe dort im Schaufenster? Oder diese bombastische Packung bunter Macarons! Und wäre es nicht ohnehin längst Zeit für einen Vine Rouge?
10. Schicken Sie Ihren Abschiedsbrief an die verflossene Liebe ab. Kopieren Sie sich jedoch vorher in eine Copy Shop, damit Sie in einem Jahr etwas zu Lachen haben. Schicken Sie sich am Besten gleich selbst noch eine Ansichtskarte. Ja, Sie stehen vielleicht nicht auf der oberen, teuren Etage des Tour Eiffel, aber Sie haben Ihr Leben wieder im Griff! Sie sind eine Woche einsam, wehleidig und voller Selbstmitleid durch Paris gelaufen. Sie haben glückliche, fremde Menschen beim Dinner beobachtet. Sie haben nur zögernd Komplimente vom Barpersonal annehmen können, aber ein wenig geschmeichelt gefühlt haben Sie sich schon, n’est-pas? Sie haben viel über sich gelernt, denn ganz ehrlich, die letzten Urlaube fanden immer mit dieser einen Person statt, die nun in Ihrem Leben keine Rolle mehr spielen wird. Sie sind Königin Marie Antoinette! Louis XI.! Ihnen liegt die ganze Welt (der Singles) zu Füßen, denn das Leben geht weiter, ohne dass sie auf der Goulleoutine geköpft wurden. Die Stadt der Liebe ist nämlich, wenn Sie ganz ehrlich zu sich selbst sind, jetzt, wo Sie im Flieger zurück sitzen, bei einem billigen Airline-Wein, dreckig und auch nicht so perfekt und schön, wie alle denken. Paris ist wie Ihre Liebe zu sich selbst. Sie verlernen manchmal im Leben, den Blick auf das Wesentliche zu richten. Der Eiffelturm und die glitzernden Lichter auf den Rue de Honorés lenken ab. Sie faszinieren, blenden, sie sind nicht real, sondern nur ein Schein. Wie das Verliebtsein. Doch abseits dieser romantischen Aura, die Paris umgibt, da ist sie: die dreckige Ehrlichkeit, das Urvertrauen und die Zufriedenheit. Wir brauchen die simplen Genussfreuden, unsere Freunde daheim und ein Lächeln aus fremden Gesichtern. Seien Sie so authentisch wie Paris. Denn nur, wer sich selbst liebt und das trotz all seiner offensichtlichen Fehler, der wird auch geliebt.
Paris, die ruppige, laute, überfüllte Stadt der Liebe ist das beste Beispiel dafür. Reisen Sie eines Tages zurück. Aber dann nur mit einer neuen Liebe an Ihrer Seite.
Teaserbild: Luke Ma, flickr.com, CC BY 2.0