„Er sah, den Sirenen entronnen, verzehrende Feuerorkane, Dampf über dem Schwall der Wogen, zugleich hörte er mächtiges Getöse“. Was Homer hier von seinem Odysseus erzählt, deutet hin auf eine Insel im Tyrhennischen Meer, im Mittelmeer also; es deutet hin auf die Vulkaninsel Stromboli. Das Eiland gehört zu den Liparischen oder Eolischen Inseln, zwischen Neapel und Sizilien gelegen.

Die einen sagen (im Sommer), sie sei eines der letzten Paradiese in Europa. Die anderen sprechen (im Winter) von einem verlorenen Paradies: Und alle meinen die 12,6 Quadratkilometer kleine Insel Stromboli, beherrscht von dem 926 Meter hohen Vulkan, dem Feuerberg. Seit Jahrtausenden speit er in gleichmäßigen Abständen glühendes Gestein mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks über die sciara del fuoco, die Aschenbahn – Feuerrutsche genannt – , ins Meer. Manchmal aber bricht es aus ihm heraus, dann bebt die Erde, und goldglühende Magma schwemmt ins Meer.
In eigenem Insulaner-Stolz
Das ist der unsichere Grund, auf dem die Strombolianer leben. Das oft wütende Meer vor sich, den Berg im Nacken, so haben sie Jahrhunderte überstanden und einen Insulaner-Stolz entwickelt, den kein noch so arroganter Tourist brechen kann. Die ersten kamen in größerer Zahl vor rund 40 Jahren, als die Insel und ihre Bewohner zum dritten Male im 20. Jahrhundert am Boden zerstört schienen. Der erste Zusammenbruch war an der Wende zum 20. Jahrhundert gekommen, als die sich ausweitende Dampfschifffahrt den Seglerhafen Stromboli – günstig zwischen Neapel und der Meerenge von Messina gelegen – überflüssig machte.
„Die Ruhe in der Hoffnungslosigkeit“
Die zweite Zerstörung bewirkte der Berg mit seinem gewaltigen Ausbruch von 1936, der auch Menschenleben forderte. Der dritte Einbruch kam als Folge des Zweiten Weltkrieges – es war leibliche Not. Die Menschen versanken in eine Lethargie, die der Schriftsteller Elio Vittorini in seinem Buch „Gespräche in Sizilien“ mit den Worten umschrieb: „Das war das Schrecklichste – die Ruhe in der Hoffnungslosigkeit“. Wieder wanderten die Jungen, die Mobilen aus. Wo um 1900 noch 3.000 Menschen gelebt hatten, waren es 1960 noch knapp 300.
Dichter, Maler, Archäologen – und der Staatspräsident
In diese bislang letzte Phase des Niedergangs kamen die Touristen, angelockt vom brodelnden Berg. Es kamen aber auch die ersten ständigen Gäste auf der Suche nach einer Oase der Ruhe. So fand die Insel seit Beginn der 70er Jahre einmal wieder einen neuen Anfang. Der Wiederaufbau verfallener Häuser brachte nicht nur neue Einkünfte, sondern eine neue Infrastruktur.
Der deutsche Dichter Armin T. Wegener fand hier sein Exil im alten Leuchtturm, der Schweizer Maler Falk hatte hier sein Refugium, der Freiburger Archäologe Professor Heinrich Lenzen, der in Mesopotamien die Stadt Warka ausgegraben hatte – und sein Haus im Ortsteil Piscità danach benannte, der amerikanische Schriftsteller Richard Mason, der Turiner Architekt Nino Pozzati und nicht zuletzt sein Freund, der Mailänder Schauspieler (Strehlers Piccolo Teatro) und Schriftsteller Alberto Franchesini gehörten zu den Pionieren, die buchstäblich die Ratten aus den Ruinen vertrieben, den Konsens mit den Einheimischen behutsam suchten und auch fanden. Heute residiert hier im Sommer auch der bisherige italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano – im Ferienhaus von Freunden. Auch die Schriftstellerin Anna Johann hat sich hierhin zurückgezogen.

Patrick Nouhailler, flickr.com, CC BY-SA 2.0
Intakte Infrastruktur unter dem Vulkan
Jetzt leben wieder rund 600 Einheimische aller Altersgruppen ständig auf der Insel. Und mit den Touristen bevölkern im Sommer rund 2.000 Menschen das Eiland. Es gibt wieder eine Grundschule, eine eigene Dorfzisterne, die von Wasserschiffen gespeist wird, weil es keine natürlichen Quellen gibt. Heute hat Stromboli unter dem lebendigen Vulkan, den sie hier Iddu nennen, wieder eine intakte Infrastruktur. Manchmal kommen romantisierende Filmemacher, die klagend die „Idylle“ von vor 50 und mehr Jahren suchen. Sie suchen etwas, was die Einheimischen mitnichten vermissen. Die scheinbare „Idylle“, die für sie immer wieder nur Not bedeutete. Oder das Drama womöglich, das sich in Rossellinis, aus 1949 stammenden Film „Stromboli – Terra di Dio“ , mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle, widergespiegelt hat. Doch wer sich umschaut, findet trotzdem lebendige Vergangenheit. Der Bäcker im Ort heißt „Il Greco“ – der Grieche. Und der örtliche Kleinfuhrunternehmer mit Elektrotaxi hat einen ganz besonderen Namen: Italo Dante.
Teaserbild: Florent Le Gall, flickr.com, CC BY-SA 2.0